[Matteo Trentini] Vortrag: Die Notwendigkeit der Krise

Manfredo Tafuri zwischen Venedig und Wien. Venedig. Istituto Universitario di Architettura (I.U.A.V.), 1977–78. 

Manfredo Tafuri hält von 1977 bis 1978 am Venediger Istituto di Storia dell‘Architettura einen monographischen Kurs über Wien. Die Vorlesungen daraus sind als Teil einer ständigen intellektuellen Auseinandersetzung des aus Rom stammenden Historikers mit Wien zu verstehen: der Stadt, in der das Konzept von Einheit, Synthese und Harmonie in der Geschichte des Denkens zerbricht. Wien ist die Stadt, in der sich eine Krise abspielt, die für Tafuri nicht nur unvermeidbar ist – in der Geschichte gibt es keine Lösungen – sondern auch notwendig, denn der einzig mögliche Weg ist das Verschärfen der Antithesen, der Frontalzusammenstoß der Positionen, die Betonung der Widersprüche. Für Tafuri ist die Krise somit nicht in ihrer nihilistischen Dimension zu verstehen, sondern ist auch notwendige Kondition für einen unvermeidbaren Paradigmenwechsel vor dem Hintergrund des jüngsten Scheiterns der Moderne.

Beginnend mit diesen zwei Präsenzen in Tafuris intellektueller Biographie „Wien und Krise“ versucht dieser Vortrag, die langjährige Beziehung zwischen Tafuri und Wien zu rekonstruieren. Nach dem Kurs in Venedig publiziert Tafuri in der marxistischen Zeitung Contropiano den Essay „Austromarxismo e città“, der 1980 als Buch Vienna Rossa. Austromarxismo e città erscheint. Als junger Leiter I.U.A.V. in Venedig – damals mit starkem Fokus auf die Kritik der Architekturideologie – war Tafuri nicht der Einzige, der den kulturellen Topos Wiens recherchiert hat. Die andauernde Konfrontation zwischen Teilen der Wiener und der italienischen Kultur des 20. Jahrhunderts ist nicht nur auf Architektur begrenzt, sondern wird auch einige der interessantesten Momente der philosophischen Reflexion provozieren – beispielsweise Cacciaris Krisis. Saggio sulla crisi del pensiero negativo da Nietzsche a Wittgenstein (1976) oder Dallo Steinhof. Prospettive viennesi di inzio Novecento (1980).

Vortrag gehalten im Rahmen der ÖGfA-Veranstaltung, 16.10.2015.

Matteo Trentini

Matteo Trentini, Architetto, si è formato tra Milano e Vienna, città dove ha collaborato con numerosi studi alla realizzazione di progetti a diverse scale. Dottorando in Storia dell'Architettura presso l'Accademia di Architettura di Mendrisio, scrive di architettura su riviste e quotidiani: Il Giornale dell'Architettura, Costruire, Il Manifesto. Contatto: trentini@das-diwan.cc